Halbzeitbilanz Kein Fortschritt ohne Gleichstellung
Mit ehrgeizigen gleichstellungspolitischen Zielen im Koalitionsvertrag war die Ampelregierung im Dezember 2021 an den Start gegangen. Doch viele der von ihr angekündigten Maßnahmen hat die Bundesregierung auch zur Hälfte ihrer Amtszeit nicht angefasst, zeigt die Halbzeitbilanz des Deutschen Frauenrats.
Als SPD, Grüne und FDP im Dezember 2021 den gemeinsamen Koalitionsvertrag unterzeichneten, lobte der Deutsche Frauenrat (DF) das Papier als gleichstellungspolitischen Erfolg. Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ griffen die Koalitionspartner Forderungen auf, die der DF und weitere gleichstellungspolitische Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft seit Jahren erheben.
Halbzeit: Regierungsarbeit auf dem feministischen Prüfstand
Angesichts des ambitionierten Koalitionsvertrags nahm der DF die Arbeit der Ampelregierung nach der Hälfte ihrer Amtszeit genauer unter die Lupe. Die Zwischenbilanz des DF fällt ernüchternd aus: Über die Hälfte der Maßnahmen sind in Verzug geraten oder drohen zu scheitern.
Dazu zählen u.a. die verabredeten Vorhaben zur institutionalisierten Gleichstellungspolitik, wie die Weiterentwicklung der Gleichstellungsstrategie und die Einführung des Gleichstellungs-Checks für Gesetze. Auch die wichtigen Bausteine zur Schließung von Entgelt- und Sorgelücke, wie die Weiterentwicklung des Lohntransparenzgesetzes, die Familienstartzeit oder die Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige standen zum Zeitpunkt der Analyse weiter aus. Eine weitere Leerstelle klaffte bei der Absicherung des Unterstützungssystems für von Gewalt betroffene Frauen auf Grundlage einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung.
Die Analyse des DF förderte außerdem zu Tage, dass die Regierung vor allem solche Maßnahmen vorantreibt, die niedrigschwellig umsetzbar sind und wenig kosten. Dazu zählt der DF beispielsweise die überfällige Streichung von Paragraf 219a oder die Leitlinien für feministische Außen- oder Entwicklungspolitik, die erst im Nachgang mit Leben gefüllt werden müssen.
Die Bundesregierung setzte zudem die Erhöhung des Mindestlohns durch und nahm die Vorbehalte gegen das Gewaltschutzabkommen Istanbul-Konvention zurück, was der Frauenrat begrüßte. Damit stellt die Bundesregierung die Weichen, um Migrantinnen mit eheabhängigem Aufenthaltstitel bei häuslicher Gewalt besser zu schützen.
Seine Ergebnisse teilte der Deutsche Frauenrat auf seiner Webseite und bereitete sie mit verschiedenen Formaten für die Sozialen Medien und die Pressearbeit auf:
Auch ein Reel lies der DF produzieren, in dem die Regierungsarbeit grafisch bilanziert wird.
Gemeinsam bilanzieren mit der Politik
Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) lud die starke Stimme für Frauen am 30. November die frauenpolitischen Sprecher*innen der demokratischen Fraktionen im Bundestag und ausgewählte Vertreterinnen aus DF-Mitgliedsorganisationen zur Diskussion über die gleichstellungspolitische Arbeit der Ampelregierung.
Der Einladung ins Berliner Hans-Böckler-Haus folgten rund 90 Gäste. Über Livestream schalteten sich rund 300 Interessierte dazu. In ihrer Auftaktrede forderte zunächst die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Elke Hannack, die Bundesregierung auf, Gleichstellungspolitik endlich ernst zu nehmen – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der gegenwärtig erschwerten Bedingungen von Krieg, Klimawandel und wirtschaftlicher Transformation. Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Dr. Beate von Miquel, machte in ihrer Rede deutlich, dass auch mit Blick auf die angespannte Haushaltslage die Gesellschaft sich Gleichstellungspolitik nicht sparen könne und warnte vor einem Scheitern der ehrgeizigen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel.
Zur Sache: Lohnlücke, Sorgearbeit, Existenzsicherung, Gewaltschutz
In vier anschließenden Panels diskutierten die Abgeordneten Leni Breymaier (SPD), Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU), Ulle Schauws (Grüne), Nicole Bauer (FDP) und Heidi Reichinnek (Linke) den Umsetzungsstand der gleichstellungspolitischen Maßnahmen des Koalitionsvertrags. Das erste Panel widmete sich der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen, an dem aus den Mitgliedsorganisationen des DF Lisa Marie Singer vom KDFB und Martina Puschke vom Weibernetz teilnahmen.
Anschließend diskutierten die Abgeordneten, wie die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern effektiv verringert werden kann. Aus den Mitgliedsorganisationen nahmen Daniela Ruhe für den Landfrauenverband und Anja Weusthoff für die DGB Frauen teil.
Das dritte Panel des Abends stand im Zeichen der fairen Verteilung von Sorgearbeit. Mit den Abgeordneten diskutierte Bettina Rainer für das Bündnis Sorgearbeit fair teilen und Ariane Faescher übernahm die SPD-Vertretung auf dem Podium von Leni Breymaier. Zum Thema Gewalt gegen Frauen beenden debattierten Sylvia Haller von der ZIF und Ceyda Tutan vom Bundesverband der Migrantinnen.
Sowohl DF und DGB als auch die eingeladenen Vertreterinnen aus den Mitgliedsorganisationen machten aus ihren Erwartungen keinen Hehl: Trotz Krisen und knapper Kassen - der Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden: Kein Fortschritt ohne Gleichstellung!